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Die Geschichte der Colonia Dignidad beginnt mit Paul Schäfer in Deutschland. Nach dem zweiten Weltkrieg arbeitete Paul Schäfer als Jugendbetreuer in sowohl christlichen als auch evangelischen Organisationen. Jedoch wurde er 1947, aufgrund homosexuellen Beziehungen zu seinen minderjährigen Schützlingen, fristlos entlassen.
Immer mehr Anschuldigungen kamen nach dem Vorfall von 1947 auf, die besagten, dass Schäfer Kinder und Jugendliche misshandelte und sexuell missbrauchte. Dies führte zu einer diskreten Entlassung aus dem kirchlichen Dienst. Paul Schäfer machte sich dann in den fünfziger Jahren als Laienprediger selbständig.
Er begann mit seinem Freund Hugo Baar, Mitglieder*innen anzuwerben, welche ebenfalls die Idee nach einer urchristlichen Lebensweise verfolgten. Mit Hilfe von endzeitlichen Lehren verbreiteten sie Schrecken-Szenarien, in denen die Sicherheit nur durch die Geborgenheit ihrer Gemeinschaft und der Leitung des von Gott eingesetzten Paul Schäfer gewährleistet ist.
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Als 1961 in Siegburg, Deutschland, zwei weitere Fälle von vergewaltigten Jungen an die Öffentlichkeit kamen, wurde ein Haftbefehl gegen Paul Schäfer erlassen.
Er tauchte daraufhin unter und floh mit Hilfe seiner Mitlgieder*innen nach Chile. Sowohl Paul Schäfer als auch Zeugen der Anklage, ca. 150 Kinder, wurden in einer Nacht und Nebelaktion mit einem Flugzeug nach Chile ausgeflogen. Seine 300 Anhänger*innen, die meisten von ihnen aus Hamburg, Gronau und Siegburg, folgten ihm in den darauf folgenden Monaten. Er entführte weitere Minderjährige nach Chile, deren Eltern ihre Erlaubnis für eine angebliche Chorfreizeit gegeben hatten. Die in Deutschland und Österreich zurückgeblieben Eltern bemühten sich erfolglos ihre Kinder nach Hause zurück zu holen.
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Schäfer lockte seine Gefolgschaft mit dem Versprechen eines urchristlichen Leben im gelobten Land sowie mit apokalyptischen Schreckens-Szenarien, die die Anhänger*innen in Deutschland zu befürchten haben, sollten sie ihm nicht folgen.
Anhänger*innen mussten bereits zu Beginn an Anteile ihres Einkommens abgeben. Später, als sich aus der Gefolgschaft eine geschlossene Gesellschaft formierte, forderte man das gesamte Vermögen der Mitglieder*innen ein.
Von diesen Geldern kaufte Paul Schäfer eine riesige Finca nahe der Stadt Parral. In dieser Finca gründete er die Colonia Dignidad. Die Kolonie war von der Aussenwelt streng abgeschottet und empfing nur ausgewählte Besucher. Von seinen Anhänger*innenn verlangte er eine totale Unterwerfung und setzte diese auch mit Gewalt durch. Ein Arbeitstag in der Kolonie hatte 16 Stunden.
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Die Colonia Dignidad hatte sich zu einem Mustergut aufgebaut, in dem alle Bewohner*innen autark lebten und dafür viel Bewunderung erhielten. Ruhetage, Gottesdienste und Gebetszeiten, die es sonst in christlichen Gemeinden gab, wurden abgeschafft.
Frauen, Männer und Kinder waren streng getrennt. Jegliche private Gespräche waren Verboten und Zuwiderhandlungen hatten harte Strafen zur Folge. Angst vor Verrat und Misstrauen war selbstverständlich.
Mit der Zeit wurde die Kolonie immer mehr zu einer Art Festung ausgebaut. Zäune mit Wachtürmen und Stolperfallen, sowie bewaffnete Wachposten sorgten dafür, dass eine nach Aussen hin abgeriegelte Diktatur entstand.
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Der Anführer Paul Schäfer hatte Kontakte zu rechtsextremen Gruppierungen und unterstützte damit indirekt den Putsch des chilenischen Militärs am 11. September 1973. Indem der demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende starb und durch die Militärdiktatur unter der Führung von Augusto Pinochet ersetzt wurde.
Während der Militärdiktatur wurde die Kolonie zu einer Operationsbasis des Pinochet Geheimdienstes DINA. Durch zollrechtliche Vorteile wurden unter anderem Schusswaffen und Munition aus Deutschland illegal über Seewege nach Chile geschleust. Die ideologische Kooperation betrieb über Jahre, unter der schützenden Hand des Diktators Pinochet, systematische Folterungen an Regimegegnern. Geflüchtete Mitglieder berichteten, dass die Colonia Dignidad während der Militärdiktatur, jahrelang als Folterzentrum des chilenischen Geheimdienstes genutzt wurde. Später stellte sich heraus, dass Gefangene in der Kolonie auch als Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Ausserdem gab es medizinische Versuche an Häftlingen, sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen, ebenso Züchtigungen sowie Misshandlungen mit Elektroschocks und Psychopharmaka.
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Strafprozesse
2004
Der erste Strafprozess zu der Colonia Dignidad war am 17. November 2004. Das chilenische Gericht erkannte Paul Schäfer des sexuellen Missbrauchs von 27 Kindern für schuldig. Paul Schäfer war bei der Verhandlung nicht anwesend.
Trotzdem wurden 22 weitere chilenische und deutsche Mitglieder der Colonia Dignidad schuldig befunden, den Kindermissbrauch vertuscht und die Justiz behindert zu haben. Sie erhielten eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.
Zusätzlich wurden Entschädigungszahlungen an die Opfer und deren Familien in Höhe von 691.000 Euro festgelegt.
2005
Der sich bisher auf der Flucht befindende Paul Schäfer wurde am 10. März 2005 in Argentinien festgenommen. Im darauf folgendem Dezember 2005 wurde eine neue Anklage gegen ihn erhoben nachdem die Leiterin der Klinik in der Colonia Dignidad (Gisela Seewald) ein Geständnis abgelegt hatte. Sie berichtete, dass sie Kinder mit Elektroschocks gequält und psychiatrischen Behandlungen unterzogen zu haben, um deren „Besessenheit“ zu behandeln und sie gefügig zu machen. Dazu kam der Vorwurf gegen Seewald und Schäfer, acht deutsche Kinder von ihren Elter entführt und schwer misshandelt zu haben.
Im Mai 2006 wurde Paul Schäfer wegen Kindesmissbrauch in 25 Fällen zu 20 Jahren Haft verurteilt. Es folgten weitere Verurteilungen. Paul Schäfer starb jedoch bereits im April 2010 in einem Alter von 88 Jahren im Gefängnis von Santiago de Chile.
2006
Ein ehemaliges Führungsmitglied Gerhard Mücke gestand im Juli 2006, dass 22 Regimegegner der Militärdiktatur in Chile in der Colonia Dignidad ermordet und anschliessend verbrannt worden wurden.
2011
Der frühere Vizechef und Krankenhaus Leiter der Colonia Dignidad, Hartmut Hopp war in Chile wegen sexuellen Kindermissbrauchs zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Hopp entzog sich der chilenischen Justiz durch eine Flucht nach Deutschland. In Deutschland wurde 2011 von der Staatsanwaltschaft eine Ermittlung eingeleitet.
Ein Prozess wurde jedoch nie eröffnet. 2019 wurden nun die Ermittlungen gegen Hopp wegen mangelnden Beweisen eingestellt. Der Antrag auf Wiederaufnahme wurde 2020 abgelehnt.
2013
Der ehemalige Stellvertreter von Paul Schäfer, Gerd Seewald wurde 2013 wegen der Beteiligung an 16 Fällen von Kindesmissbrauch zu fünf Jahren Haft verurteilt.
Gerd Seewald starb bereits 2014 in einem Alter von 93 im Gefängnis von Cauquenes.
2016
Gegen Ende Dezember 2016 wurden Gerhard Mücke, Kurt Schnellenkamp und Karl van den Berg sowie zwei chilenische Geheimdienstmitarbeiter zu Haftstrafen von fünf Jahren verurteilt.
Aufgrund der Gründung einer kriminellen Vereinigung.
Gegenwart
Rund 140 Mitglieder der Colonia Dignidad veröffentlichten im April 2006 ein Schuldbekenntnis. Darauf wurde einem Psychotherapeuten des deutschen Aussenministeriums Zugang zu dem Gebiet zu gewähren.
Heute leben noch rund 80 Mitglieder in der ehemaligen Colonia Dignidad.
Die ehemaligen streng getrennten Schlafsäle wurden nun in Wohnungen umgewandelt, in denen jetzt die Familien leben. Jungen Mitgliedern ist es erlaubt, an chilenischen Universitäten zu studieren. Es sind jedoch auch viele ehemalige Mitglieder zurück nach Deutschland gesiedelt.
2012 wurde der Gemeindschaftsbau zu einem Hotel umgewandelt. Das Hotel selbst heisst „Hotel Villa Baviera“, welches mit bayerischen Folklore und Touristen wirbt. Diese Touristische Attraktion existiert bis heute.